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Primäres Lymphödem – Wie eine Diagnose mein Leben verändert hat

Zuletzt aktualisiert am 28. September 2024

In diesen Artikel wird es mal etwas persönlicher. Ich habe es schon in manchen Beiträgen angeschnitten: Seit über einem Jahr trage ich Kompressionsstrümpfe an beiden Beinen, Füßen, Armen und oft an den Händen, weil ich ein primäres Lymphödem in beiden Beinen und Armen habe. Die Diagnose hat mein Leben komplett auf den Kopf gestellt – und das meiner Tochter mittlerweile ebenfalls. Weil ich über die Erkrankung aufmerksam machen möchte, erzähle ich in diesem Beitrag davon. Außerdem erzähle ich dir, wie mir der Minimalismus dabei im Alltag hilft.


Inhaltsverzeichnis

Was ist ein primäres Lymphödem?

Allgemeine Symptome von Lymphödemen

Lymphödeme zeigen sich allgemein durch Schwellungen, Schwere- oder Spannungsgefühle und Hautveränderungen, weil Lymphflüssigkeit nicht oder nur schwer abfließen kann und sich im Gewebe sammelt. Dadurch bilden sich Ödeme. Die Haut ist empfindlicher gegenüber Reizungen und Entzündungen. Wenn die Zehen oder Finger betroffen sind, lässt sich oft nur schwer der die Hautfalte abheben. Das nennt man ein positives Stemmersches Zeichen. Wenn das negativ ist, ist ein Lymphödem jedoch nicht ausgeschlossen und kann trotzdem vorliegen.

Beim Lymphödem handelt es sich um eine progrediente Erkrankung, die (unbehandelt) fortschreitet. Bei dem einen schneller, bei dem anderen langsamer. Durch Ereignisse wie Frakturen, Verletzungen oder Eysipele können sich Lymphödeme verschlechtern.

Fachinformationen zum Lymphödem findest du hier: Lymphödem – MSD Manual Ausgabe für Patienten. Auf der Seite findet ihr auch Fotos von unbehandelten Lymphödemen.

Häufigkeit von Lymphödemen

Das primäre Lymhödem ist eine seltene Erkrankung und tritt bei 1:100.000 Menschen auf. Die Ursache ist genetisch/anlagebedingt. Beispielsweise können Lymhbahnen fehlen oder zu wenige vorhanden sein. Das erworbene sekundäre Lymphödem, zum Beispiel durch Krebserkrankungen oder Unfälle, kommt weitaus häufiger vor. Über die Häufigkeit gibt es keine repräsentativen Studien, aber man geht davon aus, dass das sekundäre Lymphödem doppelt so oft auftritt. Beim primären Lymphödem sind am häufigsten die Beine betroffen. Während beim sekundären Lymphödem häufig nur eine Extremität betroffen ist, sind beim primären Lymphödem oft beide Seiten betroffen – nicht immer in der gleichen Ausprägung.

Das sehr selten auftretende angeborene primäre Lymphödem tritt bei Neugeborenen oder innerhalb der ersten zwei Lebensjahre auf. Der Typ „praecox“ ist der häufigste Typ und tritt mit der Pubertät oder bis zum 35. Lebensjahr auf, der Typ tardum nach dem 35. Lebensjahr.

Bei den primären Lymphödemen sind 94% an den Beinen, 1% an den Armen, 0,5% am Kopf, 0,5% am Genitale und 4% an mehreren Körperregionen. Bei den sekundären Lymphödemen betreffen 66% die Arme, 31% die Beine, 1,5% die Genitale, 1% den Kopf und 2% mehrere Körperregionen. Daraus ergeben sich von der Häufigkeit her für Deutschland ca. 53 000 sekundäre Armlymphödeme, ca. 38 000 primäre Beinlymphödeme und ca. 25 000 sekundäre Beinlymphödeme.

Lymphnetzwerk

Wirklich aussagekräftige Zahlen oder Studien gibt es leider nicht.

So zeigt sich mein Lymphödem

Jedes Lymphödem ist anders. Im Endeffekt zeigt sich meine Lymphtransportstörung heute dadurch, dass meine Beine elendig bleiernd schwer werden und anschwellen, inklusive Füße und Zehen. Das Laufen wird dann sehr beschwerlich. Länger stehen kann ich nicht. Teilweise schmerzen meine Beine und Hüften sowie meine Hände durch die Schwellungen in den Gelenken. Das Spannungsgefühl bei Schwellung ist ganz allgemein sehr, sehr unangenehm und schmerzt ebenfalls oft. Die Arme selbst sind leicht geschwollen und werden schnell schwer und kraftlos. Einfachste Haushaltsaufgaben werden manchmal zur größten Anstrengung.

Durch die passende Kompression sind meine Beschwerden insgesamt besser geworden. Aber beschwerdefrei bin ich trotz der ganzen Therapien und Maßnahmen, die ich im Artikel noch aufzählen werde, nicht. Mal habe ich leichte Beschwerden und mal richtig heftige und starke. Das kann ich leider nie vorhersehen. Es gibt Sachen die ich nicht mehr machen kann und manche Sachen, die ich nur leicht ausüben kann. Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Ich muss mein Lymphsystem immer im Blick haben. Ich merke auch schnell, wenn ein Baustein der Therapien mal wegfällt. Hinzu kommen auch Temperaturen, Hormone, Gesundheit/Krankheit, Häufigkeit und Intensität der Lymphdrainage und vieles mehr – all das beeinflusst mein Lymphsystem stark. Und wenn ich mit den Therapien und Maßnahmen ganz aufhören würde, würde es schnell wieder richtig schlimm werden.

Überlaste ich mein Lymphsystem, kann es auch zu einem Stau im ganzen Körper kommen, so dass manchmal auch mein Gesicht und Hals mit anschwellen. Das geht dann auch nicht innerhalb von ein paar Stunden wieder weg. Sehr, sehr unschön.

Im Frühling und Sommer sind die Beschwerden schlimmer als im Herbst und im Winter. Wobei im Herbst/Winter die Wärme in den Innenräumen zu Problemen bei mir führen kann.

Als ich die Diagnose „primäres Lymphödem“ bekam, erklärte sich meine langjährige Leidensgeschichte, die seit der Jugend besteht, denn da sind die ersten Symptome aufgetreten. Weil das Lymphödem in der Medizin stiefmütterlich behandelt wird, im Medizinstudium nicht wirklich relevant vorkommt und ich keine extremen Umfangsveränderungen habe, ist das jahrelang übersehen worden. Mir wäre sehr viel Leid erspart geblieben, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt worden wäre. Das musste ich erst einmal verarbeiten.

Therapien

Vorab: Wenn dich das Thema interessiert, verlinke ich dir hier die Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von Lymphödemen.

Die Therapie meines Lymhödems besteht bei aus fünf Bausteinen:

  • Regelmäßige Hautpflege: Das bedeutet, dass ich morgens und abends meine Haut intensiv pflegen muss, weil sie zum einen von den Ödemen, zum anderen von der Kompressionsversorgung stark beansprucht wird. Ich muss zwingend Verletzungen, Entzündungen und Infektionen vermeiden, weil das die Ödeme verschlimmert kann. Die Gefahr eines Erysipels ist groß. Ein Mückenstich an den Beinen macht mich immer ganz nervös.
  • Manuelle Lymphdrainage: Zwei Mal in der Woche gehe ich für 45 Minuten zur Lymphdrainage. Dabei werden meine Beine entstaut. Das tut immer sehr gut und ist super wichtig für mich. Eigentlich soll ich eine Behandlung von 60 Minuten bekommen, aber die bietet kaum eine Praxis an. Zudem kann man von Glück sagen, überhaupt eine aufnehmende Praxis zu finden. Wenn man dann noch zwei Termine in der Woche bekommt, gleicht das einem 6er im Lotto. Zusätzliche nutze ich mehrmals in der Woche den Lymphamaten für 60 Minuten.
  • Kompressionstherapie: Wie schon erwähnt, trage ich an Beinen (inkl. Bauch) und Füßen sowie an den Armen und Händen Kompressionsversorgungen. Diese ziehe ich an, sobald ich aufstehe und ziehe sie erst abends, vor dem Duschen, aus.
  • Bewegung: Die Kompression funktioniert nur, wenn man sich viel bewegt. Ich fahre daher viel Fahrrad, laufe viel und mache Gerätetraining, um die Muskelpumpen zu aktivieren und den Lymphtransport zu verbessern. Das hilft mir enorm. Beispiel: Manchmal ist das Radfahren anfangs sehr anstrengend, weil die Beine schwer sind. Von Kilometer zu Kilometer merke ich, wie meine Beine leichter werden und sich die Beine entstauen.
    Leider bauen sich aber meine Muskeln in den Beinen nicht weiter auf, was sehr frustrierend ist. Ich arbeite da hart dran, aber es klappt nicht. In den Armen gehts langsam bergauf. Minikleine Fortschritte. Ich habe jetzt mehrfach gelesen, dass Lymphödempatienten nur schwer Muskeln aufbauen können. Ich recherchiere da noch.

Von einer guten Selbstkenntnis und richtigen Einschätzung der Belastbarkeit hängt der Trainingserfolg maßgeblich ab. Überforderung führt zu Erschöpfung, Fehlbelastung oder sogar zu Verletzungen. Die Erfahrung zeigt, dass besonders Lymphpatienten nur in stark reduziertem Ausmaß ihre Kondition steigern und ihre Muskeln aufbauen. […] Lymphödempatientinnen sollten demgegenüber nicht bis an ihre Grenzen gehen, denn die durch die Belastung erhöhte lymphatische Last muss mühsam wieder abtransportiert werden. Ein Lymphödem, das überlastet wird, reagiert also eher mit Schwellung und Verhärtung. Dagegen ist eine mäßige Belastung mit geringer Erhöhung der Blutzufuhr gut für den Abtransport der lymphpflichtigen Last.

Lymphselbsthilfe e.V.
  • Bandagierung: Immer dann, wenn die Ödeme zu stark zunehmen, bandagiere ich meine Beine. Ich bin dann ziemlich in der Bewegung eingeschränkt, muss mich aber viel bewegen, um die Beine zu entstauen. Oft mache ich das in Kombination mit einer erhöhten Nutzung des Lymphamaten – quasi meine eigene kleine physikalische Entstauungsphase.
  • Komplexe Physikalische Entstauung Phase 1: Die hat kurz nach der Diagnosenstellung stattgefunden und dauerte 3 Wochen. In dieser Zeit trägt man 24 Stunden eine Bandagierung, um den Drainageerfolg beizubehalten. Bislang habe ich die Entstauung ambulant gemacht. Ich überlege aber, ob ich das nicht doch mal stationär in einer Reha machen lasse, wenn das mal wieder nötig werden sollte.

So hat sich mein Alltag verändert

Mein Alltag hat sich massiv verändert – nicht nur wegen der ganzen Beschwerden und Einschränkungen, die mich immer begleiten.

Wenn ich morgens aufstehe, dusche ich nicht mehr, sondern ziehe meine Kompressionsversorgung nach der Hautpflege an. Das dauert morgens ca. 15 bis 30 Minuten und ist schon eine kleine sportliche Aktivität und oft sehr anstrengend. Nicht selten wünsche ich mir danach eine Dusche.
Wenn ich davor duschen wollen würde, müsste ich noch viel früher aufstehen. Außerdem muss die Haut komplett trocken sein, weil sonst schnell Infektionen entstehen. Daher dusche ich meistens abends. Natürlich muss ich abends nach dem Duschen meine Haut wieder pflegen, damit sie sich über Nacht regenerieren kann. Oft gehe ich abends auch in den Lymphamaten, um meine Beine von der am Tag gestauten Lymphlast zu entstauen. Beim Duschen kann es durch das Stehen ohne Kompression und durch die Wärme zu zusätzlichen Schwellungen in den Füßen und Beinen kommen. Die Behandlung dauert ca. 60 Minuten.

Gutes Maß zwischen Belastung und Entlastung finden

Während der Arbeit und auch im Alltag muss ich auf ein gutes Maß an Belastung und Entlastung achten. Ich habe einen Bürojob und durch das viele Sitzen sammelt sich schnell Lymphe in meinen Beinen und Armen. Ich muss also regelmäßig aktiv für Bewegung sorgen, sonst wird es problematisch. Ich darf mein Lymphsystem aber auch nicht überlasten (s.o.), was z. B. bei Dienstreisen regelmäßig geschieht. Da habe ich danach zwei Tage richtig „Spaß“ mit meinem Lymphen.

Ich brauche immer wieder Pausen und muss meine Beine hochlegen. Ich kann nicht längere Zeit stehen, aber auch nicht zügig/schnell laufen. Längere Zeit sitzen, ohne Möglichkeit die Beine hochzulegen, ist auch suboptimal. Das ist nervig. Ich empfinde das als sehr einschränkend. Es ist wirklich eine empfindliche Waage, die bei mir (noch?) schnell ins Ungleichgewicht kommt.

Nicht zu vergessen ist auch, dass die Bewegung in einer Kompressionbestrumpfung in der Klasse 3 anstrengender ist, weil die Muskulatur dagegen arbeiten muss. Dadurch wird der Lymphfluss angeregt und der Abtransport gefördert. Ohne Kompression sind manche Bewegungen zwar leichter, aber dann kommt es zu Schwellungen und den beschriebenen Beschwerden.

Verletzungen und Infektionen vermeiden

Ich muss Verletzungen an Armen und Beinen verhindern, um Infektionen zu vermeiden. Das schränkt auch manchmal ein, z. B. bei der Gartenarbeit. Barfußlaufen ist auch nicht mehr, weil die Kompression dann schnell kaputt geht. Wenn du mehr über Vermeidungen lesen willst, empfehle ich dir diese Links:

Ratgeber für Menschen mit Arm-Lymphödem-Gefährdung
Ratgeber für Menschen mit Bein-Lymphödem-Gefährdung

Viele Termine und Therapien, die im Alltag dazukommen

Wie ich schon schrieb, fahre ich zwei Mal in der Woche zur Lymphdrainge und ein bis zwei Mal zum Gerätetraining. Spaziergänge, Gymnastik und sonstige Bewegung baue ich ebenfalls im Alltag ein. Hinzu kommen die regelmäßigen Arzttermine, Rezeptabholungen und häufigen Termine im Sanitätshaus. Der Ärger mit der Krankenkasse oder mit defekten und/oder nicht passenden Kompressionversorgungen nehmen natürlich auch viel Raum ein.

Waschen, waschen, waschen

Ach und natürlich muss die Kompression jeden Abend gewaschen und getrocknet werden. Im Campingurlaub ist das blöd, weil sie nur per Hand gewaschen wird. Das geht natürlich, aber sie sitzt besser, wenn sie in der Maschine gewaschen wird. Auch dauert das Trocknen im Camper länger als zu Hause. Irgendwann werde ich hoffentlich über mehrere Garnituren an Kompressionsbestrumpfungen haben, so dass das etwas entspannter im Urlaub wird – wobei die alten dann auch nicht mehr so gut sitzen und schon abgenutzt sein werden, was zu Beschwerden führen kann. Aber anders geht es halt nicht, wenn man nur zwei Kompressionsversorgungen pro Jahr bekommt.

Im Endeffekt bestimmen meine Lymphödeme, die Einschränkungen, Therapien und Termine meinen Alltag. Ich bin nicht mein Lymphödem, es definiert mich nicht, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es meinen Alltag beeinflusst.

Die richtige Kompressionsversorgung finden

Vor der Diagnosestellung, als mein Weg begann, hat mir zunächst meine Hausärztin Rundstrickstrümpfe als Therapie verschrieben, weil sie von einem Venenproblem ausgegangen ist. Wir haben verschiedenes ausprobiert, aber nichts hat geholfen. Also bekam ich eine an den Füßen offene Flachstrickstrumphose in der Kompressionsklasse (KKL) 2 verschrieben und eine Überweisung zum Phlebologen. Der schickte mich zur Lymphszintigraphie, wo eine schwere Lymphtransportstörung diagnostiziert wurde. 

Die von der Hausärztin verschriebene Flachstrickstrumphose war von Juzo (Expert) und von der Materialfestigkeit/Wandstabilität her nicht ausreichend. Damals wusste ich noch nicht, was für Unterschiede es in dem Bereich gibt und habe mich auf die Expertise des Sanitätshauses verlassen.

Nach der ersten intensiven Entstauung (3 Wochen lang 4 Mal in der Woche über eine Stunde Lymphdrainage plus 24-stündiges Tragen einer Bandage) bekam ich eine neue Kompression, dieses Mal von Medi und zusätzlich mit Zehenkappen (je vier Zehen), beides KKL 2. Ich wechselte zu einem sehr festen Gestrick mit einer hohen Wandstabilität (mediven 550), das Besserung brachte. Trotz Doppelversorgung an den Füßen schwollen diese und meine Beine weiterhin immer wieder an und längere Strecken konnte ich oft auch wegen bleierner Schwere nicht gehen. Das war noch nicht gut.

Ich wechselte daraufhin das Sanitätshaus und wurde zum ersten Mal richtig gut beraten. Wir testeten die gleiche Marke (Medi) und blieben bei dem gleichen Gestrick (mediven 550), stiegen aber auf eine Zehenkappe mit fünf Zehen (KKL 2) und Oberschenkelstrümpfe (KKL 3) mit Radlerhose (KKL 2) zur Doppelversorgung an Hüften und Oberschenkeln um. Das brachte, zusammen mit weichem Schuhbett, eine enorme Besserung!

Es stellte sich dann auch heraus, dass nicht nur meine unteren Extremitäten betroffen sind, sondern auch meine Arme und Hände. Seitdem ich täglich meine Armkompression und oft meine Handschuhe trage, sind die Schwellungen, die Kraftlosigkeit und das Schweregefühl besser geworden. Erst da habe ich gemerkt, dass die Kraftlosigkeit und das Schweregefühl in den Armen auch nicht normal ist und wie stark ich doch eingeschränkt gewesen bin. Was ein Mensch alles als normal hinnimmt und an was er sich gewöhnt…

Ständige Rennerei und Kämpfen

Eine chronische Erkrankung geht mit vielen Terminen einher: Lymphdrainage, mindestens alle drei bis sechs Monate und bei Bedarf Arzttermine, Termine im Santitätshaus, Rezepte besorgen/korrigieren, Bewegung und Sport (ein Muss), Kontakte mit der Krankenkasse uvm. Fangen wir aber mal nach und nach an:

Jedes halbe Jahr Anspruch auf eine neue Kompressionsversorgung

Jedes halbe Jahr und bei starker Veränderung der Umfangswerte habe ich einen Anspruch auf eine neue Versorgung, was im Sanitätshaus ausgemessen werden muss. Die Anzahl der Versorgungen im Jahr ist ziemlich wenig, wenn man bedenkt, dass man sie täglich trägt und wäscht und dadurch der Druck nach einiger Zeit nachlässt und nicht mehr zu 100 % wirkt. Ich verstehe natürlich, dass die Kompressionsversorgung sehr teuer ist, trotzdem ist es schlicht zu wenig.

Im Endeffekt hat man eine funktionierende Kompressionsversorgung, wenn sie neu ist. Die Hersteller geben 6 Monate Garantie auf den Druck. Ältere Kompressionsversorgungen funktionieren dann zwar noch, verlieren aber mit der Zeit weiter an Wirkungskraft und sitzen oft auch nicht mehr so gut. Optimal ist das nicht.

Individuelle Maßanfertigung

Die Kompression wird vom Hersteller auf meine Maße hin angefertigt, was jedes Mal ein längerandauerndes Maßnehmen im Sanitätshaus zur Folge hat: Jede einzelne Zehe, jeder einzelne Finger, verschiedene Umfänge an Beinen und Armen an verschiedenen Stellen und verschiedene Längen werden gemessen. Das ist feinste Handarbeit. Wird da falsch gemessen, passt die Kompression nicht. Termine von einer Stunde sind da nichts, wenn es richtig gemacht wird. Zuvor muss aber noch ein Rezept beim Arzt besorgt werden. 

Krankenkasse muss bewilligen

Dieses Rezept wird dann mit Kostenvoranschlag von dem Sanitätshaus bei der Krankenkasse eingereicht. Wird der Kostenvoranschlag von der Krankenkasse abgelehnt, muss ein begründeter Widerspruch eingereicht werden. Ich habe bei einem Widerspruch Erfolg gehabt, beim anderen wurde mein Widerspruch zum medizinischen Dienst gegeben und abgelehnt. Die Ablehnungsgründe sind für niemanden, weder Fachpersonal noch Laien, nachvollziehbar gewesen. Ich hätte klagen können, aber dazu fehlten mir die Nerven. Seit dieser Erfahrung bin ich Mitglied im VdK. Kann ich jedem nur empfehlen, der regelmäßig mit Sozialbehörden und Krankenkassen zu tun hat. Sollte sowas nochmal kommen, werde ich mich vor einer Klage nicht mehr scheuen.

Manchmal werden Rezepte auch von der Krankenkasse zurückgegeben, weil ein falscher Begriff draufsteht. Oft ist das nicht mal nachvollziehbar und wirkt wie an den Haaren herbeigezogen. Das gleiche Rezept, das vor einem halben Jahr bewilligt wurde, wird bei der nächsten Beantragung von der Krankenkasse zur Korrektur zurückgegeben. Manchmal werden Rezepte auch zurückgegeben oder abgelehnt, wenn sie eine Woche zu früh vor Ablauf des halben Jahres eingereicht werden. Dass die Kompression aber noch hergestellt werden muss und die Herstellung ein bis zwei Wochen dauert, wird dann nicht mit in die Halbjahresfrist einberechnet. Das ist alles von Krankenkasse zu Krankenkasse und sogar von Mitarbeitenden zu Mitarbeitenden unterschiedlich. Dann zieht sich das ganze Prozedere (unnötig) in die Länge und bedeutet eine Rennerei und extra Arbeit für alle Beteiligten – und ich muss länger auf meine Kompression warten. Das ist nervig, wirklich.

Seitdem ich Kompressionen trage, bin ich eigentlich nur am Rennen und Machen. Nie ging etwas glatt.

Passt die Kompression?

Wenn nach dem ganzen Gerenne endlich der erlösende Anruf aus dem Sanitätshaus kommt, dass die Kompression da ist, freue ich mich immer sehr! Gleichzeitig habe ich aber immer schon Steine im Bauch, weil bislang immer etwas war. Die Kompression muss 1A sitzen. Bislang ging aber jede Kompression zur Änderung/Korrektur oder im Verlauf zur Reperatur an den Hersteller zurück.

  • Eine Zehe war 2 cm zu lang
  • die Abschlüsse an den Handschuhen waren zu weit
  • die Abschlüsse hatten einen falschen Haftrand
  • Die Armstrümpfe waren im unteren Bereich zu weit
  • die Beinbestrumpfung hatte zu viel Stoff und war zu lang
  • Die Radlerhose hatte ein Loch für eine Katheterversorgung (also meine Kontinenz funktioniert noch ganz gut)
  • …..

Manchmal sind schon nach kurzer Tragezeit Defekte entstanden:

  • Nähte lösen sich
  • Es entstanden Laufmaschen, die nicht sein dürfen
  • Der Netzzwickel im Intimbereich riss ein
  • …..

Das ist ärgerlich, weil das jedes Mal bedeutet, dass ich a) länger auf die Kompressionsversorgung warten muss (eine Reperatur dauert auch mal 4 bis 6 Wochen) und b) ich wieder ins Sanitätshaus muss um sie hinzubringen und später wieder abzuholen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie genervt ich davon bin. Das Sanitätshaus ist auch nicht mal eben um die Ecke. Das sind alles Termine und Wege, die dauern und Zeit, in der ich auf die Kompressionsversorgung verzichten muss.

Mit meinem jetzigen Sanitätshaus gibt es bei Reklamationen wenigstens keine Diskussionen, denn die kommen auch oft vor. In meinem ersten Sanitätshaus musste ich ziemlich dafür kämpfen, dass eine zu lang gestrickte Kompression eingeschickt wird. Ich hatte Falten in der Kniekehle, was ziemlich unangenehm war. Von anderen Betroffenen höre ich immer wieder von einer sehr schlechten Zusammenarbeit mit ihrem Sanitätshaus. Das ist schade, weil Kompressionen a) ein medizinisches Produkt, ein Hilfsmittel sind, die wir im Alltag benötigen, b) die Kompressionen sehr teuer sind und c) weil es unnötig Kraft kostet. Die Krankenkassen bewilligt nur jedes halbe Jahr. Wenn man dann eine Kompression hat, die nicht richtig sitzt und das Sanitätshaus sich weigert, die Reperatur/Änderung durchführen zu lassen, läuft die Person ein halbes Jahr mit einer schlecht sitzenden Kompression herum. Das ist mir zum Glück noch nicht passiert. Mich macht das immer traurig, wenn ich davon höre.

Kleidung und Schuhe

Tja, das ist so ein Thema. Durch die Zehenkappen und Fußbestrumpfung passen mir Schuhe in meiner ursprünglichen Größe nicht mehr. Ich trage meine Schuhe jetzt, je nach Schuh, ein bis zwei Größen größer. Auch werden Schuhe schnell eng, wenn mein Füße – trotz Kompressionsversorgung – anschwellen. Das ist so unangenehm! Die Schuhe müssen atmungsaktiv sein, weil Wärme meine Schwellungen fördert. Sie müssen noch weitere bestimmte Kriterien erfüllen (z. B. bei Chelsea Boots nicht scharfkantig am Rand sein, da das sonst die Kompression kaputt macht), was die Auswahl einschränkt. Nervig, gerade im Sommer oder im Herbst/Winter in Innenräumen. In der Schuhauswahl bin ich sehr stark eingeschränkt und hoffe, dass meine jetzigen Schuhe lange halten oder lange auf dem Markt bleiben. Das Suchen ist eine Qual.

Meine Kleidung musste ich anpassen. Weil so eine Kompressionsversorgung warm ist, musste ich im Frühling und Sommer bzw. an warmen Tagen auf Röcke und Kleider sowie sehr luftige Kleidung umsteigen. Dabei sieht man aber die Kompression und sie fällt sehr stark auf, also muss es für mich farblich zusammenpassen. Außerdem möchte ich, dass meine Kleidung schön aussieht, wenn ich diese ollen, aber notwendigen und helfenden Wegbegleiter trage, damit alles stimmig und schön aussieht. Aber das ist alles gar nicht immer so einfach.

Das veränderte Wärmeempfinden ist tatsächlich auch nochmal ein Thema für sich. Wärme ist mein absoluter Endgegner und begleitet mich das ganze Jahr über: Im Frühling und Sommer draußen, im Herbst und Winter in Innenräumen.

Blicke und Starren – manchmal gar nicht so einfach

Auch fällt die Kompression durch die luftige Kleidung im Frühling und Sommer stark auf. Mittlerweile bin ich so selbstbewusst, dass ich meine Kompression und auch meine Zehenkappen zeige und Schlappen trage. Alles andere geht an heißen Tagen nicht und wäre eine Zumutung. Ich denke mir,

andere Menschen Nutzen einen Rollator, weil die Beine/der Körper nicht mehr so gut funktionieren. Andere tragen ein Hörgerät, weil die Ohren schlechter geworden sind. Ich trage Kompressionskleidung, weil meine Lymphe nicht so gut funktionieren. So einfach ist das.

Während ich das so schreibe denke ich: „Das liest sie ja super! So einfach!“ Aber um ehrlich zu sein, so leicht ist das nicht immer. Es gibt Tage, da stören mich die starrenden Blicke der Menschen nicht. Aber an manchen Tagen kann ich das nur schwer aushalten und ich werde traurig. Das Menschen gucken: Geschenkt. Macht wohl jeder mal, ich auch. Aber starren und gaffen, nein, das geht zu weit. Was wir da schon erlebt haben! Das ist schon wirklich sehr unangenehm und von den Personen unverschämt. Es ist hilfreich, dass meine Familie in solchen Momenten wie eine Brandmauer hinter mir steht.

Familiäres primäres Lymphödem

Meine jüngste Tochter ist auch vom primären Lymphödem betroffen. Zum Glück haben wir das bei ihr sehr früh festgestellt, damit es vielleicht erst gar nicht so schlimm wird, wie bei mir. Aber die Rennerei mit der Kompressionsversorgung ist die Gleiche. Die oben beschrieben Schwierigkeiten sind bei ihr genau gleich.
Sie wird auch häufiger neue Kompressionsversorgungen benötigen, weil sie sich noch im Wachstum befindet. Und ob die derzeitige Versorgung die Richtige ist, wird sich auch noch zeigen. Trial and Error.
Wöchentliche Lymphdraingen braucht sie zum Glück (noch?) nicht. Das freut mich für sie, weil das wirklich viel Zeit frisst. Sie wird Lymphdrainagen in Abständen bekommen und ansonsten meinen Lymphamaten nutzen.

Kleine Erfolge – langsam nährt sich das Eichhörnchen

Ich will auch gar nicht jammern, so soll der Artikel nicht verstanden werden. Ich möchte nur erzählen wie es ist, damit über die Erkrankung aufgeklärt wird. Mein Lymphödem ist lästig, einschränkend und frustrierend, aber ich kann damit lange leben. Durch meine Kompressionsversorgung, regelmäßige Lymphdrainage, Nutzung des Lymphamaten und durch die Bewegung und Ruhephasen sind die Schwellungen und Beschwerden besser in den Griff zu bekommen. Da möchte ich wirklich nicht meckern. Die Erkrankung wird mich halt ein Leben lang begleiten. Ich hoffe, den derzeitigen Status lange erhalten und ggf. noch verbessern zu können.

Ein Hoch auf den Minimalismus

Meine persönliche minimalistische Lebensweise hat mir dabei geholfen, Prioritäten zu setzen und mich besser zu strukturieren. Ich bin froh, dass ich zuvor mein Leben bereits entschlackt habe, sonst wäre ich wahrscheinlich von der Flut an Erneuerungen und neuen Aufgaben neben meinen altbekannten Aufgaben und Alltag überfordert gewesen. Jetzt bin ich zwar viel am Tun und manchmal genervt. Aber es ist in Ordnung. In der Anfangsphase, als ich meine zu mir passende Kompression finden musste, war es richtig viel Stress (aus den o.g. Gründen), jetzt weniger und ich habe mich an die Termine gewöhnt.

Dadurch, dass wir durch den Minimalismus auch einiges an Geld sparen, konnte ich mein Privileg nutzen, nur noch an vier Tagen zu arbeiten. Für mich wäre das alles ziemlich viel neben einer Vollzeitstelle. Ich wollte sowieso immer auf eine 4 Tage Woche gehen. Nun habe ich es vorgezogen. Mir ist durchaus sehr bewusst, dass das etwas ist, was nicht jedem Menschen möglich ist und daher begegne ich meiner Möglichkeit auch mit Demut und Dankbarkeit. Vor einigen Jahre wäre das nicht möglich gewesen. Ich bin wirklich sehr dankbar.

Ich habe bezüglich chronischer Erkrankungen und Behinderungen und damit einhergehend persönlichen Belastungsgrenzen auch einen Artikel über die Löffeltherapie geschrieben, vielleicht interessiert er dich ja: Die Löffeltheorie.
Auch bin ich sehr dankbar, dass Frederik und ich eine gleichberechtigte Partnerschaft führen, und er mich sehr entlastet. Wie wir das machen, kannst du in diesem Artikel lesen: Gleichberechtigte Partnerschaft: Kinder, Job und Haushalt – so teilen wir uns die Arbeit

Mein Wunsch an dich

Einen Wunsch habe ich am Ende dieses Artikels an dich: Wenn du jemanden siehst, der Kompressionen trägt, starre die Person nicht an. Wenn du Fragen hast, frag. Die meisten Lymphies die ich kenne, sind da offen und wünschen sich, gefragt anstatt angestarrt zu werden. Mir kannst du deine Fragen gerne auch in den Kommentaren stellen, ich beantworte sie dir gerne.

Viele Grüße,
Janina

Sharing is Caring! Ich freue mich, wenn du meinen Artikel in die Welt teilst. Einerseits, um auf das Lymphödem aufmerksam zu machen, andererseits, um unseren Blog am Leben zu halten. Es kostet dich keinen Cent, außer ein paar Klicks. Ich danke dir von Herzen!

primäres Lymphödem Erfahrungen

4 Gedanken zu „Primäres Lymphödem – Wie eine Diagnose mein Leben verändert hat“

  1. Danke für den Artikel!
    Es ist so wichtig und richtig das du darüber schreibst!
    Die Gesundheit ist unser höchstes Gut, die Besinnung darauf und die damit einhergehen Entscheidungen haben den größten Anteil an unserer Lebensqualität.
    Leider wollen sich viele nicht damit auseinandersetzen, schauen weg, hören nicht auf die Signale die Körper und Geist schicken.
    Betäuben sich mit materiellen Dingen…
    Minimalismus ist nicht nur weiße, leere Räume;
    Denken, Fühlen und Handeln.

    Ich hatte nach den Schwangerschaften große Probleme mit den Lymphen. Es war ein kräftezehrender Kampf (Arzt und Sanitätshaus) bis ich die richtige sanitäre Versorgung und Drainage bekommen habe. Wurde belächelt, abgewiesen.
    Als ob du aus Spaß das alles auf dich nimmst..

    Schicke dir ganz viel Kraft.
    Sonja

  2. Danke für diesen sehr ehrlichen Einblick! Man kann sich ja kaum vorstellen, welche Hindernisse einem die Krankenkassen so in den Weg legen können – was ich da höre und lese, macht mich immer wieder fassungslos. Ich kann mir zwar kaum vorstellen, wie es ist, mit solchen Einschränkungen leben zu müssen aber es erstaunt mich, wie unemphatisch manche Menschen sein müssen, die bei Krankenkassen oder medizinischen Diensten arbeiten. Und auch, wenn man niemandem was Böses wünschen sollte, stelle ich mir manchmal vor, diese Leute müssten nur mal einen Tag mit den Beschwerden derer verbringen, denen sie das Leben so schwer machen.
    Ich finde es klasse, dass du deinen Alltag so offen beschreibst. Oft ist es ja nur fehlendes Wissen, das die Menschen komisch reagieren lässt. Wobei es natürlich immer unangemessen ist, andere anzustarren – egal, weswegen.
    Liebe Grüße!

    1. Liebe Vanessa,

      manchmal fühlt es sich so an, als denken die Menschen von der Krankenkasse oder MDK, man würde sich an den Strümpfen bereichern wollen. 😉
      Gerne trägt man die wirklich nicht, aber da sie helfen und mir ein halbwegs normales Leben ermöglichen, sind sie leichter zu tragen. Sie sind, was sie sind: medizinische Hilfsmittel.

      Über den Artikel habe ich wirklich lange nachgedacht. Ich habe mich auch gefragt ob es richtig ist, so offen darüber zu schreiben. Aber ja, es ist richtig. Das Lymphödem ist kaum bekannt und Aufklärungsarbeit unbedingt notwendig. Ich habe mir vorgenommen, meine Kompression nicht zu verstecken (warum auch?), sondern offen damit umzugehen, Fragen zu beantworten und aufzuklären. Dieser Artikel ist meine bescheidene Möglichkeit, das zu tun.

      Ich habe auch viele Mails von anderen Betroffenen bekommen, was mich wirklich richtig gefreut hat. So entstehen tolle Kontakte.

      Das Menschen gucken, ist – wie gesagt – normal. Wenn etwas nicht direkt ins Bild passt, ist man kurz irritiert. Das finde ich auch völlig okay. Dieses Starren ist aber wirklich schlimm und seeeeehr unangenehm. Das führt dazu, das einige Betroffene ihre Kompression verstecken und im Sommer, trotz der sowieso schon vorhandenen starken Wärme durch die Kompression, noch mehr schwitzen und regelrecht leiden.

      Liebe Grüße,
      Janina

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