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Freigeister brauchen Freiräume – Unsere Erfahrungen mit einer Montessorischule

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Zuletzt aktualisiert am 21. Januar 2022

Wir waren heute beim ersten Epochenabschluss an der Montessorischule unserer Quatschtröte. Seit dem Sommer geht sie dort in die erste Klasse und einige von euch baten uns, über die Schule zu berichten. Wir nehmen den Epochenabschluss daher als Anlass, mal zu erzählen. Wir haben heute ein paar Fotos für euch gemacht, so dass wir das ganze Geschreibsel auch mit Bildern unterlegen können. Aber eines kann ich euch sagen: Die Atmosphäre bringen die Fotos nicht rüber. Aber egal, wir freuen uns, euch berichten zu dürfen. Aber vorsichtig, er enthält einige Bilder und ist sehr lang 😉 .

Reformpädagogische Ganztagsschule mit dem Schwerpunkt Montessori

Zunächst: Sie gehen auf eine reformpädagogische Ganztagsschule mit dem Schwerpunkt Montessori (wenn du mehr über die Montessoripädagogik lesen möchtest, klick hier: Montessori), die Kinder von der ersten bis zur dreizehnten Klasse unterrichtet. Klasse 1 bis 4 ist die Grundschule, 5 bis 10 die Gesamtschule und 11 bis 13, na klar, die Oberstufe.
Die Schule befindet sich im Grünen und ist umgeben von vielen Grünflächen, einem Tiergehege und einem Barfußweg. Auf dem Gelände gibt es noch Wohnungen und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Auch das ansässige Café wird inklusiv betrieben. Das Gelände wird auch außerhalb der Schulzeit gerne von Menschen und anderen Schulklassen als Ausflugsziel besucht, weil es so idyllisch ist und man schöne Spaziergänge machen kann. Am Ende besteht die Möglichkeit, im Café Halt zu machen und die Kinder spielen zu lassen. Du muss es wirklich gesehen haben, die Schönheit kann man mit Worten nicht beschreiben. Ich habe dir hier ein paar Fotos in einer Diashow eingefügt. Dort siehst du das Gelände, das Café, den Spielplatz und anderes. Das ist aber nur ein kleiner Einblick von dem großen Gelände.

keine Klassen, sondern gemischte Gruppen

Es gibt in diesem Sinne keine Klassen, nur Gruppen. In der Grundschule besteht eine Gruppe aus etwa 20 bis 25 Kindern von der ersten bis zur vierten Klasse. Pro Jahrgang sind etwa fünf bis sieben Kinder in einer Gruppe. Anschließend werden die Jahrgänge fünf bis sieben, acht bis zehn und elf bis dreizehn zusammen in einer Gruppe unterrichtet. Insgesamt gibt es pro Stufe ca. vier bis sechs Gruppen. Zudem arbeitet jede Gruppe inklusiv, das bedeutet, dass auch Kinder mit Handicaps genauso unterrichtet werden, wie alle anderen. Jedes Kind lernt in seinem eigenen Tempo! Das ist so großartig!

keine Noten

Noten gibt es nicht. Erst ab der neunten Klasse werden die eingeführt. Zuvor erhält jedes Kind persönliche Rückmeldungen (das sind wunderschöne Briefe der Lehrer*innen), in dem sie darüber berichten, was das Kind gelernt hat und wo seine Stärken liegen. Natürlich wird auch gesagt, woran noch gearbeitet werden muss, aber das steht im Hintergrund. Viel wichtiger ist der Schule, dass die Stärken in den Vordergrund gestellt werden und die Kinder sich diese einprägen. Außerdem sollen sie lernen, sich einzuschätzen. Daher wird ein Lerntagebuch geführt, in dem jeder Tag dokumentiert wird. Die Kinder müssen sich dann wöchentlich selbst einschätzen und Ziele setzen, die sie erreichen möchten. Wir Eltern müssen das Buch auch kontrollieren und gegenzeichnen.
Nach jedem Lernkapitel müssen die Kinder einen Test/Lernstandsüberprüfung schreiben. Dabei wird gesehen, ob das Kind das Thema versteht. Wurde es verstanden, kann es mit dem nächsten Thema weiterarbeiten. Zeigen sich Defizite, werden diese behoben, in dem das Thema weiter bearbeitet wird. Da jahrgangsübergreifend gearbeitet wird, fällt es auch nicht wirklich auf, ob ein Kind eine Klasse mal wiederholt oder mit dem Stoff hinten ansteht/oder gar weiter ist. Alle Kinder lernen von Anfang an, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat, so entsteht ein tolles Verständnis für andere Menschen. Außerdem helfen sie sich gegenseitig.

gestärktes soziales Miteinander

Wie ich schon sagte, gibt es auf dem Gelände eine Werkstatt und Wohnungen für Menschen mit Behinderungen. Diese waren vor der Schule da 😉 . Diese werden auch in den Schulalltag mit eingebaut. Beispielsweise gehen alle Fünftklässler ein halbes Jahr lang freitags in die Wohngruppen und unterstützen die Menschen mit Handicaps. Auch so wird immer wieder Kontakt zwischen den Schüler*innen und Menschen mit Handicaps aufgebaut: Es gibt gemeinsame Feste und immer wieder besuchen Kinder die Menschen in ihren Wohngruppen.

praktisches Lernen

Da wäre ich auch schon an dem Punkt praktisches lernen. In der siebten Klasse steht ein Praktikum im sozialen Bereich an. In der achten Klasse müssen die Kinder ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb machen. Das geht auch wieder über ein halbes Jahr, einen Tag in der Woche. In der neunten Klasse findet dann das dreiwöchige Betriebspraktikum statt. Grundsätzlich wird ganz viel praktisch gearbeitet und alles versucht, den Kindern anschaulich beizubringen. Beispiel: Es wurde ein Volleyballfeld installiert. Dazu mussten die Kinder berechnen, wie tief sie das Feld buddeln müssen, wie viel Sand benötigt wird, welche Fläche das Feld bekommt etc. So konnten sie theoretische Kenntnisse praktisch anwenden. Und das wird mit fast allen Themen versucht.

Zum praktischen Lernen aber auch zum selbstständigen Arbeiten gibt es auch dieses freie Arbeiten mit Holz. Diese Möglichkeiten richten sich eher an die jüngeren Kinder. Die Älteren chillen eher auf den Grünwiesen 😉 . Sie bauen ihre eigenen Hütten oder setzen andere Ideen mit Holz um. In der Gestaltung sind sie ganz frei. Es gibt auch schon mal einen blauen Daumen, aber so ist das eben, wenn man sich handwerklich betätigt. Kennen wir alle, oder? 🙂

Selbstständigkeit und Verantwortung

Das ist eine schöne Überleitung zum Thema Selbstständigkeit. Es wird viel Wert auf Selbstständigkeit gelegt. Von der ersten Klasse an lernen die Kinder, sich selbst zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen. In den höheren Klassen müssen sich die Schüler*innen selbst ein Praktikum suchen. Sie erhalten Unterstützung durch die Lehrer, müssen aber selbst anrufen und alles klären. Sie lernen so auch, mit Absagen umzugehen, aber auch sich gut zu verkaufen. Die Eltern haben sich hier rauszuhalten.

Ich schrieb ja bereits, dass es ein Tiergehege gibt. Auch hier werden Verantwortungen übernommen, in dem es feste Zeiten gibt, an denen die Kinder sich um die Tiere kümmern müssen. In dem Tiergehege gibt es Ziegen, Hasen, Hühner, Vögel und Meerschweinchen. Ich hoffe, ich habe kein Tier vergessen.

Projekt Herausforderung

In der zehnten Klasse findet das Projekt Herausforderung statt. Hier müssen sich die Schüler*innen zu Gruppen zusammentun und ein Projekt auf die Beine stellen, dass sie herausfordert. Da wird auch wieder individuell geschaut, was jeder zu leisten vermag. Meine Tochter hatte die glorreiche Idee, sich 150 km von Münster aussetzen zu lassen und den Weg zurückzulaufen. Bepackt mit einem Zelt, Schlafsack und Campingkocher, ging es dann auf Reisen. Ihre Gruppe hat alles alleine geplant und sie haben es tatsächlich geschafft, diesen Weg alleine zurückzulaufen und Übernachtungsmöglichkeiten zu finden. Wir alle, sowohl Eltern als auch Kinder, sind daran gewachsen – und unglaublich stolz! Das ist ein großartiges Projekt, dass eigentlich jedem Kind zustehen sollte. Sie lernen lebenspraktische Dinge und auch ganz viel Selbstwirksamkeit. <3

Jede Gruppe fährt jedes Jahr auf eine Klassenfahrt, direkt von der ersten Klasse an. Die Grundschüler*innen vier Tage, die Älteren fünf Tage.

Auch brauchen die Kinder keinen Tornister. Eine kleine Tasche für das Frühstück reicht. Morgens ziehen die Kinder in einem Flur unten ihre Schuhe und Jacken aus, nehmen ihr Frühstück aus dem Rucksack (der unten bleibt) und gehen dann mit Socken oder Pantoffeln nach oben in die Klassen.

Wie sieht der Schulalltag aus?

Beginn ist für alle Schüler*innen um 8.30 Uhr, das Ende um 15.50 Uhr. Die Kinder werden an bestimmten Haltestellen mit dem Bus abgeholt und natürlich wieder zurückgebracht. Zur Schule kommen Kinder aus ganz verschiedenen Städten.
Da unsere Teenietochter Quereinsteigern ist und in der 10. Klasse dort auf Grund des ersten Abschlusses wieder alles anders ist als in den Klassen zuvor, werde ich den Tag unserer Quatschtröte in der Grundschule beschreiben. Natürlich können die Einheiten von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich sein. Ich beschreibe nur ein Beispiel und die Kerninhalte.

Der Tag beginnt zwischen 8.20 Uhr 8.30 Uhr mit einer Einheit für individuelles Lernen. Dabei suchen sich die Kinder aus, was sie lernen möchten. Die Schule muss sich natürlich an den Lernplan halten, allerdings haben die Kinder einen gewissen Freiraum selbst zu entscheiden, wonach ihnen heute ist. Frontalunterricht gibt es nicht. Wenn ein Kind also morgens gerne rechnen möchte, darf es rechnen, während ein anderes Kind vielleicht gerade schreibt.

Um 9.00 Uhr findet der Morgenkreis statt (je nach dem ca. 15 bis 30 Minuten). In diesem Kreis werden auch Probleme in der Klasse gemeinsam besprochen, frei nach dem Motto „Wenn es irgendwo Ärger/Streit gibt, kann man nicht vernünftig lernen“. Wir finden das toll. Die Kinder lernen so, mit Streit und Konflikten umzugehen, sie anzusprechen und mit Worten zu lösen. Aber auch andere Dinge werden besprochen. Dieser Kreis ist vielseitig. Täglich gibt es dort auch englischen Input, so dass die Kinder von Anfang an mit der englischen Sprache vertraut werden und diese „nebenbei“ im Gespräch lernen.
Sobald der Morgenkreis beendet ist, gehen die Kinder in unterschiedliche Arbeitsgruppen: Buchstabenkurs, Zahlenlabor, Musik (einmal in der Woche), Mathelabor, Wörterlabor. Je nachdem auf welchem Stand sich das Kind befindet, geht es in die entsprechende Gruppe.

Von 10.00 Uhr/10.15 Uhr (je nach Tag) bis 10.45 Uhr ist Frühstückspause. Da wird gemeinsam im Kreis gefrühstückt.

Anschließend findet bis um 12.15 Uhr, je nach Tag, der vernetzte Unterricht, Gruppenrat oder die kleine AG (Handarbeit, Umgang mit dem Schulhund, Tiergehege) statt. Im vernetzten Unterricht bearbeiten die Kinder ein Thema (z. B. Getreide, Mobilität) und betrachten es von allen Seiten: aus mathematischer, sachkundlicherer und sprachlicher Perspektive (englisch, deutsch), künstlerisch, musikalisch, politisch……… Alles was es gibt! Am Ende des Zeitraums (meist acht Wochen), gibt es einen Epochenabschluss. Dann führen die Kinder etwas auf, zeigen ihre Ausarbeiten und präsentieren ihr Gelerntes. Sie sind immer so stolz, wenn die Eltern dabei sind. Das hat auch den großen Vorteil, dass die Kinder ab der ersten Klasse präsentieren (Theater spielen, singen, Gedichte vortragen, Vorträge…) und vor Menschen reden lernen. Der vernetzte Unterricht ist ein ganzheitliches, verknüpftes lernen, was wir persönlich absolut befürworten. Zusätzlich besuchen die Kinder während einer jeden Epoche entsprechende Einrichtungen. Beim Thema Getreide war es ein Mühlenhof, bei dem sie sich den Weg vom Korn zum Brot ansehen konnten. Gut, das war für unsere Quatschtröte auf Grund ihrer Zöliakie nicht das beste Thema, aber darauf sind sie gut eingegangen und haben ihr Alternativen geboten.

Nach der Mittagspause, die etwa eine halbe Stunde dauert, folgt die „Was ihr wollt Zeit“. Hier dürfen die Kinder entscheiden, was sie tun: draußen mit Freunden spielen, in der Bücherei lesen, sich ausruhen, malen oder doch an ihrem Buch weiterschreiben.

Um 14.00 Uhr geht es dann nochmal, je nach Tag, in den vernetzten Unterricht, zum Sport/Schwimmen, in die Schreibwerkstatt oder in die AG´s. Um 15.50 Uhr laufen sie dann gemeinsam zum Busbahnhof und werden nach Hause gebracht.

Wenn die Kinder merken, dass sie unruhig werden, sich nicht konzentrieren können oder sich bewegen müssen, dürfen sie laufen. Sie dürfen auch ihre Aufgaben auf dem Boden im Liegen oder im Flur auf dem Teppich (der übrigens im kompletten Flur ausliegt, sau gemütlich, Schuhe tragen verboten ;-)).

Keine Kuschelpädagogik

Nur weil die Kinder Freiheiten haben, bedeutet das nicht, dass es keine Regeln und Grenzen gibt. Die gibt es sehr wohl! Die Kinder lernen jedoch, dass sie eigenständige Wesen sind, die ernstgenommen und in Aushandlungsprozesse soweit wie möglich mit einbezogen werden. Es wird nicht über sie bestimmt, sondern gemeinsam mit ihnen besprochen. Die Lehrer*innen und Schüler*innen begegnen sich auf Augenhöhe und duzen sich. Jeder Mensch wird mit seinen Stärken und Schwächen wertgeschätzt und respektiert.

Und Probleme, die es an anderen Schulen gibt, gibt es dort natürlich auch. Die Schule ist total schön, hat ein mega gutes Konzept und ein wunderbares Gelände. Aber sie ist nicht von der Außenwelt abgeschottet und kein heile-Welt-Ort.

Pro Gruppe gibt es in der Regel zwei Vollzeitstellen. In der Gruppe unserer Quatschtröte lehrt eine Vollzeikraft und zwei Teilzeitkräfte.

Elternsprechtage gibt es nicht. Wenn Bedarf seitens der Eltern oder der Lehrer*innen besteht, kann man einen Termin vereinbaren und hat dann eine Stunde Zeit für ein gemeinsames Gespräch. Herrlich! Kein „Wann haben Sie Ihren Termin?“ „Um 15 Uhr?“ „Ok. Ich war aber 10 Minuten früher da als Sie!“. Wie habe ich das immer gehasst.

Leider werden jedes Jahr nur 30 neue Kinder aufgenommen, da die Kapazitäten beschränkt sind. Das finde ich schade. Ich wünschte, jedes Kind könnte auf eine solche Schule gehen. Natürlich ist das Konzept nicht für jeden was. Für unsere Kinder und auch für uns Eltern ist es jedoch genau die richtige Schule. Wir haben auch schon Erfahrungen mit einer Regelgrundschule und einem Gymnasium. Wir wissen also, was unsere Kinder brauchen und was nicht. Und das wir an dieser Schule Plätze bekommen haben, erfüllt uns mit einem solchen Glück! Unsere Kinder sind Freigeister, die gerne in ihrem eigenen Tempo und ganz individuell lernen.

Die Kinder gehen gerne zur Schule, freuen sich förmlich und sehen Schule nicht als etwas Schlimmes – selbst in der Pubertät nicht. Die Schule wird als ein Ort des Lernens und Lebens gesehen, ein Ort, an dem man Freunde treffen und wachsen kann, ein Ort, an dem man respektiert wird, so wie man ist. Seit dem unsere Teenietochter auf diese Schule geht, ist sie ein anderes Kind: schulisch glücklich und zufrieden. Und zu Hause gibt es keinen Stress mehr wegen der Schule.

Übrigens war der Epochenabschluss toll. Ein paar Kinder haben auswendig gelernte Gedichte zum Thema Getreide vorgetragen, andere haben sich Theaterstücke ausgedacht und präsentiert und die Gruppe meiner Tochter hat auf Englisch ein Lied im Kanon gesungen. Anschließend ging es in den Gruppenraum, um die Ergebnisse bestaunen zu dürfen.


Wir freuen uns schon sehr auf den nächsten Epochenabschluss. Mal sehen, welches Thema es dann wird.

Lieben Gruß,
Jani & Freddy <3

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2 Gedanken zu „Freigeister brauchen Freiräume – Unsere Erfahrungen mit einer Montessorischule“

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